LICHTERMEER IN DER NACHT ZWISCHEN ALLERHEILIGEN & ALLERSEELEN
von Sabine Hütter, November 2025
Ein leuchtendes Ritual im Dunkel des Jahres
Wenn Anfang November die Dunkelheit früher kommt, verwandeln sich die Friedhöfe in Österreich in Meere aus Licht.
An Allerheiligen (1. November) und Allerseelen (2. November) ehren Katholiken ihre Verstorbenen – mit Blumen, Gebeten und Kerzen. Doch das, was auf den Friedhöfen entsteht, ist weit mehr als ein religiöses Ritual: Es ist ein visuelles Gedächtnis, ein kulturelles Erbe, ein kollektives Innehalten.
Wer in diesen Tagen über den Zentralfriedhof in Wien geht, erlebt die Stadt in einer anderen Tonart. Zwischen den Grüften berühmter Komponisten, den Alleen voller Laternen und dem süßlichen Duft von Wachs und Erde wird das Vergängliche greifbar.
Im Gegensatz dazu wirkt der kleine Friedhof St. Peter in Salzburg fast wie ein verwunschener Garten – still, umgeben vom Felsen, ein Ort, an dem die Geschichte greifbar wird.
ALLERHEILIGEN in der STEIERMARK - Lichtermeer in Trautmannsdorf | Foto: Sabine Hütter, society-photography.at
Allerheiligen und Allerseelen – Licht und Vergänglichkeit
Fotografisches Storytelling zwischen Gänsehaut und Herzklopfen
Allerheiligen und Allerseelen sind mehr als Gedenktage – sie sind visuelle Erzählungen über Licht, Erinnerung und Vergänglichkeit. Eine fotografische Reflexion von Sabine Hütter.
Friedhof Fehring in der Nacht zwischen Allerheiligen und Allerseelen. Die Steiermark zelebriert die beiden Feiertag als traditionelles Familienbrauchtung - Foto: Sabine Hütter, ©by society-photography.at
Die beiden Feiertage: Ursprung und Bedeutung
Allerheiligen – eingeführt im 7. Jahrhundert durch Papst Bonifatius IV. – galt ursprünglich den Märtyrern, später allen Heiligen, die keinen eigenen Gedenktag hatten.
Allerseelen, im Jahr 998 von Abt Odilo von Cluny eingeführt, ist der Tag des stillen Gebets für alle Verstorbenen.
Beide Feste sind miteinander verwoben: das eine ehrt die Vollendung, das andere das Erinnern. Zusammen formen sie ein spirituelles Gleichgewicht zwischen Himmel und Erde.
Licht als Sprache des Glaubens
Das Entzünden der Kerzen ist die universelle Geste des Trostes. Auf jedem Grab steht sie für dasselbe: Hoffnung, Nähe, Erinnerung. Die Friedhöfe werden in dieser Nacht zu Choreografien des Lichts.
Für die Fotografie ist dies ein Ausnahmezustand – technisch anspruchsvoll, atmosphärisch überwältigend. Sabine Hütter zeigt in ihren Aufnahmen, wie individuelle Wahrnehmung und emotionale Tiefe verschmelzen können.
Es geht sowohl um perfekte Belichtung, als auch um die erzählerische Fähigkeit.
Zwischen Allerheiligen und Allerseelen: Die Nacht der Zwischentöne
Die Nacht zwischen den beiden Tagen hat eine besondere Magie. Die Stille, die pulsierend im Kerzenlicht flackert. Die Dunkelheit, die nicht bedrohlich wirkt, sondern einladend.
Diese Spannung – zwischen Gänsehaut und Herzklopfen – ist das, was gutes fotografisches Storytelling ausmacht.
Sabine beschreibt es so:
„Du kannst Allerheiligen oder Weihnachten nicht einfach so ‘ablichten’ . Du musst es fühlen – und die Emotion fotografisch einfangen.“
Vom Totengedenken zur kulturellen Identität
Allerheiligen und Allerseelen verbinden Religion und Kultur, Theologie und Volksbrauch.
In Deutschland spiegeln Volkstrauertag und Totensonntag ähnliche Bedürfnisse: Erinnerung, Versöhnung, Kontinuität.
In Österreich bleibt der Akt des Gedenkens ebenfalls sichtbar – sinnlich, bildhaft, durch das Ritual der Lichter verankert.
Gerade darin liegt die Kraft für die Fotografie.
Fotografie als Erzählung: Vom Bild zur Bedeutung
In der professionellen Fotografie gilt Nachtlicht als Königsdisziplin. Doch hier geht es nicht nur um Technik – sondern um Storytelling.
Sabine Hütters Bilder stehen exemplarisch dafür, wie sich eine fotografische Sprache jenseits der Oberfläche entfalten kann.
Hütter nutzt Licht als Narration, Bewegung als Gefühl und Komposition als Erinnerungsträger.
So entsteht kein Foto über einen Friedhof – sondern eine Erzählung über Vergänglichkeit, Würde und Schönheit.
Visuelle Meditation
Allerheiligen und Allerseelen sind Tage der Balance – zwischen Glaube und Kultur, zwischen Erinnerung und Hoffnung.
Wer an diesen Abenden durch Wien, Graz, Salzburg oder eine der zahllosen kleinen Gemeinden geht, erlebt das Unsagbare: die Verbindung von Vergänglichkeit und Leuchten.
Fotostrecke
Allerheiligen 2025 – Friedhöfe in Trautmannsdorf und Fehring
Fotografie: Sabine Hütter – Society Photography Austria